Im Christentum ist keine Frauenfigur so zentral wie Maria- die Ehefrau von Josef und Mutter von Jesus. Zwar mag sie auf den ersten Blick nur über diese Rollen definiert werden, jedoch wuchs ihre Figur über die bloße Erwähnung in den Schriften hinaus zur zentralen moralischen und menschlichen Instanz der Kirche. Jahrhunderte lang wurde sie von den Gläubigen angerufen, um für sie am Ende aller Tage einzustehen. Ihr wurden Wallfahrtsorte und Kirchen geweiht. Ihr Mythos entwickelte sich dabei in Wechselwirkung mit der Kirchendoktrin, aber auch mit dem Alltag der Gläubigen weiter und fand seinen Höhepunkt in ihrer Aufnahme in den Himmel – als erstem Menschen ohne Märtyrertod. Ihre Entrückung vollendet Marias eigenen Zyklus im Kirchenjahr. 431 wurde sie auf dem Konzil von Ephesus zur Mutter des menschlichen und göttlichen Wesen Jesus Christi erklärt.
Die Frage die sich stellt ist, warum konnte Maria eine solche zentrale Rolle im christlichen Glauben erlagen? Muttergottheiten waren bereits im Altertum in vielen Kulturen bekannt. Sie assoziierte man mit dem Familienleben, mit dem Glück in der Ehe, dem Wohlergehen der Kinder. Man könnte sie als die göttlichen Vertreterinnen der Alltagssorgen, vor allem von Frauen, bezeichnen; Als Auseinandersetzung und Repräsentation ihrer gesellschaftlichen Rollen. So wollen manche Historiker und Archäologen in der alt-ägyptischen Isis eine frühe Version der Marienfigur erkenne: Die Göttin der Liebe hält in vielen Darstellungen ihren Sohn Horus auf dem Schoß, die Inkarnation der göttlichen Königswürde der Pharaonen. Gibt es vom Isis Kult über die Gemeinde der Kopten eine direkte Verbindung zwischen den beiden Himmelsköniginnen? Fest steht, dass die erste historisch belegte Dormitio Marias in Ägypten im 4.Jhd gefeiert wurde. Im ostfränkischen Raum ist Mariä Himmelfahrt das erste Mal 813 namentlich erwähnt. Im Verlauf der Spätantike und des frühen Mittelalters entwickelten sich jeweils im römisch-katholischen Westen und im griechisch-orthodoxen Osten die Marienverehrung zu einem wichtigen Zeremoniell, teils unabhängig, teils in Wechselwirkung von einander. So legt der oströmische Kaiser Maurititus das Fest auf den 15.August. Dieses Datum ist in beiden Kirchen gleich.
Inspiriert wurden die Feierlichkeiten oftmals von bereits bestehenden Ritualen. Die Kräutersegnung im deutschen Raum wurde wohl von germanischen Ritualen beeinflusst. In Konstantinopel wurde die Theotókos – die Gottgebärerin – zur Schutzpatronin der Stadt und des Kaisertums erhoben, zur Verteidigerin gegen Naturgewalten und die Angriffe der Araber und Osmanen. Die Marienfeiertage wurden dazu genutzt, diesen Bund mit dem Göttlichen zu erneuern.
Im spirituellen Bewusstsein mag es für den Menschen immer Frauen- und Mutterfiguren gegeben haben. Jedoch verkörpert Maria eine religiöse Transformation, die mit der essentiellen Botschaft des Christentums einher geht. Sie steht an der Schwelle zum Göttlichen, eben durch ihre weltliche Rolle der Mutter und ihr Leben als Sterbliche. Jedoch ebnete in der Glaubensvorstellung erst ihre Aufnahme in den Himmel den Weg zwischen Diesseits und Jenseits - für alle...